Mit Sorge sehen viele Eltern der kalten Jahreszeit entgegen, denn die Konzepte der Politik zur Aufrechterhaltung des Betriebs von Schulen und Kitas sind nicht ausgereift.
Der Wert von Bildung
Die Schließungen von Schulen und Kitas im Frühjahr haben ins öffentliche Bewusstsein gebracht, was Eltern, Lehrkräfte und Kitamitarbeitende schon lange wissen: Dass nämlich (früh)kindliche Bildung und Betreuung elementare Bestandteile des Familienalltags und unseres Gesellschaftsmodells sind. Die Coronakrise hat auch gezeigt, welchen Stellenwert Familien, Kinder und Eltern im öffentlichen Bewusstsein und auch im Bewusstsein vieler Politikerinnen und Politiker haben. In einigen Fällen wurde zu Beginn der Pandemie deutlich, dass das Wohlergehen von Familien der Politik am Herzen liegt, dass die Bedeutung von Bildung, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für unsere ganze Gesellschaft klar ist und dass sie nachvollziehen können, was es für die kindliche Psyche bedeutet, wenn kein Kontakt zu Freunden und Großeltern erlaubt ist und die Eltern sich nicht kümmern können, weil sie arbeiten müssen.
Was manche Politiker glauben
Es hat sich aber auch gezeigt, dass große Teile der Politik glauben, dass ein Gehalt ausreicht, um eine Familie zu ernähren. Zwei Gehälter seien allenfalls notwendig, um mehrmals im Jahr in den Urlaub zu fahren und Mütter würden ohnehin nur arbeiten, um sich selbst zu verwirklichen. Ein Gehalt (das der Mutter) ist also ohne weiteres verzichtbar und wenn die Rente dann später nicht reicht, ist das auch egal.
Es wird angenommen, dass es ok ist, wenn Kinder den ganzen Tag fernsehen, während ihre Eltern arbeiten. Vielen Dank ans Gesundheitsministerium für diese wichtige Erkenntnis ausgrechnet am Muttertag. Es wird angenommen, dass Eltern ihre Kinder nur in die Betreuung “abschieben”, um ihrem Privatvergnügen nachzugehen, und dass Mütter ihre Kinder eigentlich gar nicht richtig kennen würden und es darum gut ist, wenn sie genötigt werden, zu Hause zu bleiben. Als hätten Mütter im Grunde nie das Recht auf eigenes Einkommen und Selbstbestimmung gehabt und als wäre die durch Corona erzwungene Rückkehr an den Herd die gerechte Strafe für die egoistischen Ambitionen der Hausfrau. Danke an den Brandenburger Wirtschaftsminister!
Sie gehen offenbar davon aus, dass keinerlei Zusammenhang zwischen frühkindlicher und schulischer Bildung und dem Bildungsstand, den zukünftigen Fachkräften oder der Bedeutung von Deutschland als Forschungs- und Bildungsstandort besteht. Dass die Kompetenz von Erzieherinnen, Erziehern und Lehrkräften ohne weiteres von jedem Elternteil ersetzt werden kann, sogar wenn es nebenbei an einer Telefonkonferenz teilnimmt. Und schließlich glauben sie, und das ist das Traurigste von allem, dass beengte Wohnverhältnisse, fehlende Teilhabe und Mangel an Aufmerksamkeit der kindlichen Seele ruhig mal mehrere Wochen oder gar Monate zugemutet werden können. Dabei werden die Bedürfnisse von Kindern mit Förderbedarf komplett ignoriert. Hier brechen Alltagsstrukturen und Therapien vollkommen weg, die für Kinder und Eltern existentiell sind.
Die Coronakrise hat also offenbart, welche Probleme es gibt und auch, warum diese nicht schon vor langer Zeit angegangen wurden. Die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte, z. B. beim Fachkräftenachwuchs im Bildungsbereich und der digitalen Ausstattung von Schulen, haben dafür gesorgt, dass die Coronakrise Kinder nun besonders hart trifft. Nicht nur herrschen in vielen Köpfen anachronistische, weltfremde, kinderfeindliche und undemokratische Familien- und Gesellschaftsbilder, es werden diese Vorurteile auch gepflegt und öffentlich verbreitet, ohne sie vorher mit der Realität abzugleichen. Es ist erschreckend, dass Menschen, die (freiwillig!) politische Verantwortung für Familien übernehmen, keine Vorstellung davon haben, wie der Alltag der meisten Familien aussieht. Offensichtlich herrscht die Annahme, Eltern hätten in den Schulferien automatisch auch frei, Kinder könnten sich problemlos den ganzen Tag selbst beschäftigen und Geld bräuchten Familien ohnehin nicht, denn mit einer Packung Buntstifte sei jedes Kind ausreichend gefördert.
Mehrwert der Betreuung
Eltern brauchen Kinderbetreuung, um arbeiten gehen zu können und Eltern müssen arbeiten, um ihre Familien zu versorgen. Dazu sind in der Regel zwei Einkommen nötig, denn das Leben mit Kindern ist teuer und auch wenn Eltern die Kosten gern zahlen, fällt das Geld trotzdem nicht vom Himmel. Aber selbst wenn die Kinderbetreuungseinrichtungen von den Eltern nicht aus Gründen der Berufstätigkeit gebraucht würden, haben sie dennoch eine wichtige Funktion. Die Rolle der Schule als Bildungsstätte ist ziemlich offensichtlich, daher wird ihr Wert nicht oft in Frage gestellt. Schule vermittelt aber nicht nur Wissen, sie ist auch Ort des sozialen Lernens und dies kann kaum durch digitale Angebote ersetzt werden. Gleiches gilt für Kitas, die in diesem Sinne ebenfalls Bildungseinrichtungen sind. Kinder lernen, Teil einer Gruppe und Teil der Gesellschaft zu sein. Kinder sind ebenso wie Erwachsene soziale Wesen, die im Miteinander wachsen. Sie brauchen Gleichaltrige zum spielen, ältere Kinder als Vorbilder, jüngere Kinder, um Vorbilder sein zu dürfen. Sie bereiten sich auf die Schule vor, lernen sich in der Gruppe durchzusetzen und Rücksicht zu nehmen und unzählige Dinge mehr, die innerhalb der Familie nicht in dieser Form vermittelbar sind. Niemand möchte in einer Gesellschaft leben, in der es Kindern an Gelegenheiten mangelt, diese sozialen Werte und Kompetenzen zu entwickeln.
Konzepte statt Lippenbekenntnisse
Es ist also nachvollziehbar, dass Eltern mit Sorge auf die kalte Jahreszeit und die damit einhergehende zu erwartende Verschärfung der Coronakrise blicken. Zwar haben erfreulicherweise inzwischen viele Verantwortliche die Absicht erklärt, Kitas und Schulen offen zu lassen. Damit dies aber nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, müssen Konzepte her, die das auch tatsächlich möglich machen.
Erste Schritte wurden unternommen und sollen hier lobend erwähnt werden:
- Beginn der Ausstattung mit digitalen Endgeräten
- Willensbekundungen der Politik, die Schulen und Kitas offen zu lassen
- Ausweitung der Kinderkranktage
- kleine Nachbesserungen beim Infektionsschutzgesetz und beim Elterngeld
Weitere Maßnahmen müssen nun aber folgen:
- Lüftungsanlagen/Luftfilteranlagen in allen Klassen- und Gruppenräumen, beginnend dort, wo sich die Fenster nicht oder nicht vollständig öffnen lassen. Spätestens, wenn die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen, sind die aktuellen Lüftungsvorgaben in allen Räumen schwierig umzusetzen.
- Fachkräfte! Ohne ausreichendes, qualifiziertes Personal an Kitas und Schulen (auch in der Nachmittagsbetreuung) kann nicht flexibel reagiert werden, wenn Mitarbeitende krank werden oder in Quarantäne müssen. Kleinere Gruppen sind nicht möglich und alternative Betreuungskonzepte schwerer umsetzbar.
- Lösungen für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und unterrichten müssen, falls sich zukünftig Schließungen trotz allem nicht vermeiden lassen. Arbeiten im Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung ist nicht erneut zumutbar. Es müssen dringend Wege zur finanziellen Unterstützung gefunden werden. Ebenso muss es unbürokratische Lohnersatzleistungen für Eltern geben, die aufgrund der Situation nicht arbeiten gehen können.
- Digitale Endgeräte für alle Kinder. Obwohl ein wichtiger erster Schritt getan wurde, sind nach wie vor noch nicht alle Kinder mit digitalen Endgeräten ausgestattet, um im Falle von Schulschließungen am Fernunterricht teilnehmen zu können.
- Finanzielle Unterstützung für Familien, die aufgrund von Quarantäne oder Schließungen Verdienstausfälle haben.