Die Hansestadt Lübeck hat auf Anfrage ein paar Zahlen zu Kitaschließungen vorgelegt. Da drin steht u.a.:

  • Städtische Kitas waren nicht von mehrwöchigen Schließungen betroffen.
  • Von 130 Einrichtungen der freien Träger verzeichneten 29 Einrichtungen Gruppenschließungen und weitere 49 Einrichtungen temporäre Reduzierungen der Betreuungszeit oder ähnliche Maßnahmen.
  • In 68 % der Einrichtungen wurden Elterbeiträge aufgrund von Betreuungsausfällen bzw. -reduzierungen erstattet.

Alles nicht so schlimm?

Doch, sehr schlimm!

Es hilft auch eine schwammige Interpretation der Zahlen bzw. beschönigende Wortwahl, Verschweigen von Werten oder der Verweis auf mangelnde Ressourcen zum Monitoring nicht. Die Situation ist sehr problematisch und es wird absehbar immer schlimmer. Grundsätzlich ist es aber kein Lübecker Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema. Nichtsdestotrotz könnte die Kommunalpolitik einige Stellschrauben drehen, um weitere Schließungen zumindest abzumildern.

Negative Folgen von Kita-Schließungen

Es gibt mehrere Gründe, warum die Einschränkungen in der Kita-Betreuung weitreichende, negative Folgen haben:

Entwicklung der Kinder:

Die frühe Kindheit ist eine entscheidende Phase für die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung. Gruppenschließungen oder gekürzte Betreuungszeiten führen dazu, dass Kinder nicht regelmäßig an Bildungs- und Entwicklungsangeboten teilnehmen können. Fehlende Konstanz und Betreuungslücken stören den Aufbau von sozialen Bindungen, das Erlernen von Routinen und sogar Sprachentwicklung. Für die Kinder ist dies also weit mehr als nur eine organisatorische Unannehmlichkeit.

Belastung der Eltern:

Für berufstätige Eltern ist eine verlässliche Kinderbetreuung unverzichtbar. Kurzfristige Schließungen oder reduzierte Betreuungszeiten bedeuten, dass wir Eltern gezwungen sind, spontane Lösungen zu finden – sei es durch unbezahlten Urlaub, die Reduzierung unserer Arbeitsstunden oder das Arbeiten unter enormem Stress. Die Unsicherheit, ob die Betreuung am nächsten Tag funktioniert, führt zu einer ständigen Belastung und beeinträchtigt unsere berufliche und private Lebensqualität massiv.

Arbeitsmarkt und wirtschaftliche Folgen:

Wenn Eltern aufgrund von Betreuungsproblemen nicht regelmäßig zur Arbeit gehen können, hat das auch gesamtwirtschaftliche Auswirkungen. Produktivität geht verloren, und Unternehmen stehen vor Herausforderungen, wenn Angestellte aus familiären Gründen kurzfristig ausfallen. Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen sind erheblich.

Gesundheit und Stress für das Kita-Personal:

Das Problem der Erkrankung des pädagogischen Personals zeigt, dass viele Kitas an ihrer Belastungsgrenze arbeiten. Es fehlt an Vertretungskräften, und die Erkrankung einer einzigen Fachkraft führt oft zu gravierenden Engpässen. Dies wiederum erhöht den Druck auf das verbleibende Personal, was zu weiteren Krankheitsfällen führt – ein Teufelskreis, der die Betreuungsqualität noch weiter gefährdet.

Langfristige soziale Auswirkungen:

Kinder, die regelmäßig Betreuungsausfälle erleben, können sich ausgeschlossen oder benachteiligt fühlen, da sie weniger Zugang zu Lernangeboten oder sozialen Kontakten haben. Langfristig kann dies zu einer sozialen Schieflage führen, in der einige Kinder deutlich besser gefördert werden als andere.

Benachteiligung von Kindern mit Behinderung:

Besonders schwerwiegend ist die Situation für Kinder mit Behinderungen. Sie sind häufig diejenigen, die bei Personalengpässen oder Gruppenschließungen zuerst ausgeschlossen werden, da ihre Betreuung oft mehr personelle Ressourcen erfordert. Inklusion sollte eine Selbstverständlichkeit sein, doch in der Praxis trifft es diese Gruppe oft am häufigsten mit Ausfällen.

Besondere Belastung für Alleinerziehende:

Kita-Schließungen treffen insbesondere Alleinerziehende besonders hart. Da sie keine Partner haben, mit denen sie die Betreuung spontan aufteilen können, stehen sie vor der enormen Herausforderung, gleichzeitig für ihre Kinder zu sorgen und ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Für viele Alleinerziehende gibt es keine flexiblen Alternativen, und oft sind sie gezwungen, kurzfristig unbezahlten Urlaub zu nehmen oder gar ihre berufliche Situation zu gefährden. Diese dauerhafte Unsicherheit verstärkt den ohnehin hohen Druck, unter dem Alleinerziehende stehen, und kann langfristig ihre finanzielle und emotionale Stabilität gefährden. Damit werden sie in einer ohnehin strukturell benachteiligten Position weiter benachteiligt.

Fehlende Gleichberechtigung:

Die gesamte Problematik hängt eng mit patriarchalen Strukturen zusammen. Historisch wird die Kinderbetreuung noch immer größtenteils als „Frauenarbeit“ betrachtet, und es wird erwartet, dass Mütter bei Betreuungsengpässen beruflich zurückstecken. Diese Rollenverteilung belastet Frauen unverhältnismäßig stärker, sowohl emotional als auch ökonomisch. Sie sind es, die häufiger ihre Karriere für die Familie opfern und in Teilzeit oder prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. Das strukturelle Problem der unzureichenden Investitionen in den Kita-Bereich – sei es durch zu wenig Personal oder unzureichende Inklusionsmaßnahmen – ist eine Folge dieser patriarchalen Denkweise. In einer Gesellschaft, die Betreuung und Sorgearbeit als gleichwertig und wichtig für alle Geschlechter anerkennt, wären solche Probleme deutlich weniger ausgeprägt, da mehr Ressourcen für die Betreuung und eine gerechte Verteilung von Sorgearbeit zur Verfügung stünden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Lage für Familien und Kinder sehr wohl ernst ist. Die kurzfristigen Unannehmlichkeiten sind nur die Spitze des Eisbergs – die langfristigen Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, die Arbeitswelt und die Gesellschaft sollten nicht unterschätzt werden. Für uns ist es völlig unverständlich, warum der politische Wille fehlt, daran etwas zu verändern. Wie? Zum Beispiel so: Aktiv gegen Fachkräftemangel

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