Vor einem viertel Jahr begann die Schließung der Kitas und Schulen. Seitdem ist viel passiert. Viele Kinder können mittlerweile wieder teilhaben, doch immernoch sind Kinder gezwungermaßen Zuhause. Seit zwei Monaten protestieren wir Eltern. In Schleswig-Holstein ist mittlerweile die Mehrheit der Kinder wieder in Betreuung, aber nur selten in vollem Umfang. In anderen Bundesländern sieht es noch ganz anders aus.
Es ist Zeit für eine vorläufige Bilanz und gemeinsame Forderungen an die Politik. Wir haben uns bundesweit mit anderen Initiativen vernetzt, damit wir gehört werden. Gemeinsam mit der Initiative „Kinder brauchen Kinder“, „Familien in der Krise“, der Familienthaler Elterninitiative, der Young Scientists Initiative sowie den Petitionsstartern von "Sofortige Öffnung der Schulen, der KiTas und der Kindertagespflege in Baden-Württemberg" und „Alle Kinder sind systemrelevant“ aus Bayern haben wir ein Statement verfasst.
Wo stehen wir?
Vor drei Monaten schlossen Kitas und Schulen deutschlandweit im Zuge weitreichender Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Drei Monate ohne Regelbetrieb - für Kinder eine Ewigkeit! Als am 16.04.2020 erste Lockerungen verkündet wurden, Kindern und ihren Familien jedoch keinerlei Perspektive geboten wurde, regte sich der Widerstand vieler Familien. Elterninitiativen zur verantwortungsvollen Öffnung von Kitas und Schulen formierten sich. Nach inzwischen drei langen Monaten öffnen einzelne Bundesländer mit unterschiedlichen Einschränkungen Kitas und Schulen. Dies wird wissenschaftlich begleitet, um das Infektionsgeschehen beobachten zu können. Wir begrüßen diese Maßnahmen sehr. Verschiedene Aspekte wurden jedoch aktuell nur unbefriedigend gelöst und offenbaren besorgniserregende Missstände:
- In Folge der COVID-19 Pandemie sind diverse Fachkräfte in Kitas und Schulen aufgrund der Zugehörigkeit zur Risikogruppe nicht mehr im Einsatz. Der schon vorher bestehende Fachkräftemangel hatsichentscheidend verschärft. Fehlende Fachkräfte in den Einrichtungen und Schulen und damit eine Verringerung des Personalschlüssels führen dazu, dass Kinder nicht genügend Förderung erhalten und kaum mehr ein "Mindeststandard" in den Einrichtungen umgesetzt werden kann.
- Mit der Öffnung steht die Herbstsaison bevor, dies bedeutet mutmaßlich steigende Infektionen mit verschiedenen Erkältungs- und Grippeviren, möglicherweise auch ansteigende COVID-19 Infektionen. Es braucht klare Vorgaben, wie Verdachtsfälle zu handhaben sind. Eine erneute großflächige Schließung der Schulen und Kindergärten ist keine Option.
Unsere Forderungen
Die Initiativen, Vereine und Petitionen fordern deshalb gemeinsam von der Kultusministerkonferenz, der Jugend- und Familienministerkonferenz mit allen beteiligten Fachminister:innen in den Bundesländern sowie den Ministerpräsident:innen:
- Die Sicherung von Kinderrechten nach UN-Kinderrechtskonvention inklusive des Rechts auf Bildung und körperliche Unversehrtheit sowie eine klare Priorisierung von Familien mit Kindern im Falle von mit erneutem Infektionsgeschehen einhergehenden Schutzmaßnahmen
- Umgehende, verantwortungsvolle Öffnung von Kitas und Grundschulen für alle(!) Kinder sowie ein effektives Krisenmanagement bzw. eine Strategie für die Aufrechterhaltung des Kita- und Schulbetriebs bei ansteigenden Infektionsraten.
- Eine kindgerechte Lernumgebung an Kitas und Grundschulen
- Ein besonderes Augenmerk auf Kinder mit Behinderungen bzw. mit speziellem Förderbedarf sowie Familien, die aufgrund ihrer individuellen Situation mehr Ressourcen benötigen
- Ein nachhaltiger „Bildungs-Rettungsschirm“ mit finanziellen Mitteln von Bund, Ländern und Kommunen für Schul- und Kita-Träger
- Eine Initiative zur Rekrutierung und Ausbildung von Pädagog:innen inklusive attraktiverer Rahmenbedingungen für diese Berufsgruppen (Bezahlung, Personalschlüssel, Ausstattung etc.)
- Eine dauerhafte Verbesserung der Betreuungsschlüssel in Kitas sowie Verringerung der Klassengrößen in Schulen sowie eine zeitgemäße Ausstattung inklusive verbindlicher Qualitätsziele zur Digitalisierung in Schulen
- Fortlaufende Prüfung der Maßnahmen durch ein breites Expert:innenkommittee, dem neben Trägern und Pädagog:innen auch Elternvertreter:innen und Experten:innen für Kinderrechte beisitzen.
Strukturelle Probleme
Die Probleme, die zur Missachtung von Kinderrechten während der Coronakrise führen, sind struktureller Natur. Sie bestehen schon lange und werden nun, da alle Bereiche des öffentlichen Lebens besonders gefordert sind, besonders deutlich sichtbar. In Kitas und Schulen herrscht seit Jahren Personalmangel, der durch den eingeschränkten Einsatz von Pädagog:innen aus Risikogruppen noch verschärft wird. Schlechte räumliche und materielle Ausstattung wirkt sich in der Pandemiezeit umso negativer aus. Wir wollen uns nicht mit Mindeststandards für die Bildung unserer Kinder zufrieden geben.
Ergänzungen
- zu 1) Durch ein vom Elternhaus abhängiges Lernen im Homeschooling und verpasste Förderung durch die Schließung von Kitas vergrößert sich die ohnehin bestehende große Chancenungleichheit in Deutschland. Dieser Zustand muss behoben werden. Die fehlende Begleitung von Pädagog:innen sowie der hohe Stressfaktor in Familien führte im Verlauf der Pandemie zu mehr Gewalt gegen Kinder. Dies muss entschlossen eingedämmt werden.
- zu 2) Die Bildungschancen von Kindern hängen derzeit wesentlich vom Wohnort (Bundesland) und Beruf der Eltern ab. Wir fordern eine Öffnung und damit Chancengleichheit für alle Kinder. Es dürfen keine Minderungskriterien wie Personalsituation oder Vorhandensein von Räumlichkeiten für Kita- und Schulbesuche für alle Kinder gelten: Vielmehr müssen sich alle Beteiligten verpflichten, alle organisatorischen und finanziellen Anstrengungen für eine umgehende Öffnung zu unternehmen.
- zu 5) Als Ersatz der fehlenden zu Risikogruppen gehörenden Pädagog:innen müssen kurzfristig beispielsweise Student:innen desLehramts, der Pädagogik oder anderer anverwandter Fächer sowie Mitarbeiter:innen fachnaher Berufsgruppen und unterstützende Mitarbeiter:innen in Hauswirtschaft,Schulaufsicht o.ä.eingesetzt werden können. Darüberhinaus wird im Einzelfall die Anmietung zusätzlicher Räumlichkeiten durch die strikte Gruppentrennung notwendig werden.
- zu 6) Nicht erst seit der Corona-Krise, jedoch gerade jetzt, insbesondere durch den Wegfall von Risikogruppen, herrscht ein noch eklatanterer Mangel an Fachkräften, den es endlich gezielt zu beheben gilt.
Hier findet ihr die Stellungnahme im Original als pdf-Datei.